„Sammeln ist ein Virus, das man nicht stoppen kann“

Hermann-Josef Bunte im Interview mit Axel Botur vom Top-Magazin Bielefeld aus dem Winter 2018

Hermann-Josef Bunte besitzt über 1.000 Kunstwerke, hauptsächlich von deutschen Künstlern des beginnenden 20. Jahrhunderts. Nun wird seine Sammlung in Teilen öffentlich. Sie bildet den Grundstock der Ausstellungen im Kunstforum Hermann Stenner – die erste beginnt am 20. Januar 2019. Ein Gespräch über seine große Leidenschaft.

Hermann-Josef Bunte
im Interview mit dem TOP Magazin Bielefeld

TOP: Warum sammeln Sie Kunst?
Hermann-Josef Bunte: Ich bin Jurist – und das ist eine doch eher trockene Materie. Über die Kunst habe ich Zugang zu einer ganz anderen Welt gefunden. Der Kontakt mit anderen Sammlern, mit Kunsthistorikern und Galeristen hat mich zu einem offeneren Menschen werden lassen. Ich versuche mich in die Psyche und Sensibilität der Künstler hineinzuversetzen und bekomme so Gespür für andere menschliche Regungen. Durch meine Sammlertätigkeit wurde und wird mein Leben unglaublich bereichert.

Sie blicken den Künstlern in die Seele?
Ich steige sehr tief in ihr Leben und Wirken ein. Ich beschäftige mich hauptsächlich mit der Kunst des beginnenden 20. Jahrhunderts. Zu sehen, welchen Entbehrungen diese Künstler ausgesetzt waren, wie einige zwei Weltkriege miterlebt haben und von den Nazis verfemt wurden, wie andere jung im Ersten Weltkrieg gefallen sind – das sind Schicksale, die mich berühren. Mit meiner Sammlung möchte ich ein bisschen Wiedergutmachung leisten und diesen Künstlern zu einer nachträglichen Anerkennung verhelfen.

Im Mittelpunkt Ihrer Sammlung steht der in Bielefeld geborene Hermann Stenner. Welche weiteren Künstler gibt es?
Zum einen andere westfälische Künstler wie Peter August Böckstiegel und Victor
Tuxhorn. Dann bin ich Stenners Lebensweg nach Dachau, München und Stuttgart gefolgt und habe Werke seiner Lehrer, zum Beispiel Christian Landenberger und Adolf Hölzel, aber auch befreundeter Künstlerkollegen wie Johannes Itten, Willi Baumeister und Oskar Schlemmer gesammelt. Insgesamt sind es etwa 50 Künstler.

Und wie viele Werke?
Zwischen 1.400 und 1.500, darunter etwa 250 Ölgemälde.

Was bringt es, so viele Bilder zu besitzen, wenn die allermeisten im Depot lagern?
Sammeln ist ein Virus, das einen erfasst und dann nicht mehr zu stoppen ist. Es fing an, um den Platz über dem Sofa zu füllen. Bald waren alle Wände voll – doch es ging immer weiter. Ich stelle aber seit Langem auch Bilder als Leihgaben für Ausstellungen zur Verfügung. Und in den privaten Räumen tauschen wir sie hin und wieder aus.

Virus – vielleicht sogar eine Sucht?
Ja. Rational ist das nicht zu erklären. Wenn ich ein Bild sehe, das in meine Sammlung passt, dann muss ich das haben.

Um jeden Preis?
Zum Teil unter großen finanziellen Entbehrungen. Wenn ich bei einer Auktion merke, andere wollen das Bild auch unbedingt haben, dann hakt es aus im Kopf, manchmal gehe ich deutlich über mein Limit. Aber alles, was ich erworben habe, ist aus privaten Mitteln finanziert. Ich würde mich nie für meine Kunst verschulden.

Manch einer wird sich nun fragen: Woher hat er so viel Geld?
Ich habe mir als Jurist einen Namen gemacht und konnte deshalb große Gutachten erstellen, etwa zu Fusionen bedeutender Unternehmen oder Kartellabsprachen. Dadurch habe ich gut verdient. Und ich habe in einer Zeit angefangen zu sammeln, als Kunst noch erschwinglich war. Für meine erste Stenner-Zeichnung in den 1970er-Jahren musste ich 200 D-Mark bezahlen – für meine aktuellste über 10.000 Euro. Aber auch durch das Tauschen mit anderen Sammlern konnte ich meine Sammlung um viele Bilder bereichern.

Macht Ihnen die Preisexplosion Sorge?
Galeristen sagen immer: „Denken Sie an die vielen Werke, die Sie früher preiswert erworben haben und die jetzt im Wert mitziehen.“ Und wenn ich sehe, wie unlängst geschehen, dass bei einer Auktion acht weitere Interessenten um ein Stenner-Bild auf hohem Preisniveau mitbieten, freue ich mich über die Wertschätzung, die er erfährt.

Auslöser Ihrer Sammlertätigkeit war die Ausstellung „Der Hölzel-Kreis bis 1914“ in der Kunsthalle Bielefeld im Jahr 1974. Vor allem von Hermann Stenners Bildern waren Sie ergriffen. Warum?
Er hatte ja nur fünf Jahre Schaffenszeit und er hat sich in jedem dieser Jahre weiterentwickelt. Sein natürliches Talent für Farben und Formen war unübersehbar. Man erkannte sofort: Er war der beste der ausgestellten Künstler. Und dann dieses abrupte Ende seines Lebens, der Tod mit 23 Jahren an der Kriegsfront. Und die Frage: Wie wäre es wohl weitergegangen?

Haben Sie eine Theorie?
Er war gerade auf dem Weg in die Abstraktion. Die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts wäre sicher anders verlaufen, wenn er, wie auch andere Große seiner Zeit, nicht so früh sein Leben hätte lassen müssen. Er teilt dieses Schicksal ja mit weiteren Künstlern wie beispielsweise August Macke oder Franz Marc.

Der Bruder von Hermann Stenner sagte Ihnen damals: „Ihr Interesse ehrt mich, aber Sie werden niemals ein einziges Bild von ihm in Ihrem Besitz haben.“
Mitte der 1970er-Jahre war gerade das erste Werkverzeichnis zu Stenner erschienen. Und der Verfasser riet der Familie, nicht mehr an private Sammler zu verkaufen, sondern nur noch an Museen abzugeben, so bedeutend sei das Werk.

Wie konnten Sie trotzdem anfangen, eine Sammlung aufzubauen?
Zum Beispiel durch Kontakte zu anderen Sammlern, die bereits Bilder besaßen. Und
nach der Erbteilung gab es auch in Teilen der Familie Stenner die Bereitschaft zu
verkaufen.

Und was sagt Ihre Familie zu Ihrer Leidenschaft?
Meine Kinder waren zunächst nicht begeistert, weil das zu manchen Entbehrungen geführt hat. Es wurden einige große Urlaube gestrichen, weil ich mal wieder ein Bild gekauft hatte. Meine Frau trägt das voll mit. Wir haben eine Arbeitsteilung: Ich spüre Bilder auf, begeistere mich für sie und erwerbe sie. Meine Frau organisiert die Folgearbeiten wie das Restaurieren und Rahmen. Man muss dazu sagen, dass die Bilder, die ich sammle, über 100 Jahre alt sind und sich teilweise in einem katastrophalen Zustand befanden.

So schlimm?
Ich habe einmal zwei Bilder von Stenner in München gekauft, die jahrzehntelang in einem Kohlenkeller lagerten. Es war auf ihnen überhaupt nichts mehr zu erkennen, keine Farben, nicht einmal, ob es Ölbilder oder Aquarelle sind. Sie waren vollkommen mit Kohlenstaub bedeckt. Die Restauratorin aber sagte: „Keine Angst, das ist das Beste, was den Bildern passieren konnte. Der Kohlenstaub hat die Farben wunderbar konserviert.“ Und in der Tat: Sie strahlen heute wie neu.

Wenn Sie sich in Ihren Räumen mit Kunst umgeben, sind die Bilder dann einfach nur da oder nehmen Sie sie bewusst wahr?
Ich lebe mit den Bildern. Sie sind wie Familienmitglieder. Es gibt Bilder wie Stenners „Auferstehung“, mit denen bin ich nie fertig. Sie beschäftigen mich ständig, immer wieder entdecke ich etwas Neues.

Was bringt es, so viele Bilder zu besitzen, wenn die allermeisten im Depot lagern?
Sammeln ist ein Virus, der einen erfasst und dann nicht mehr zu stoppen ist. Es fing an, um den Platz über dem Sofa zu füllen. Bald waren alle Wände voll – doch es ging immer weiter. Ich stelle aber seit Langem auch Bilder als Leihgaben für Ausstellungen zur Verfügung. Und in den privaten Räumen tauschen wir sie hin und wieder aus.

Hermann-Josef Bunte zum Vorgehen beim Sammeln:

„Ich versuche, mich in die Psyche der Künstler hineinzuversetzen.“

Virus – vielleicht sogar eine Sucht?
Ja. Rational ist das nicht zu erklären. Wenn ich ein Bild sehe, das in meine Sammlung passt, dann muss ich das haben.

Um jeden Preis?
Zum Teil unter großen finanziellen Entbehrungen. Wenn ich bei einer Auktion merke, andere wollen das Bild auch unbedingt haben, dann hakt es aus im Kopf, manchmal gehe ich deutlich über mein Limit. Aber alles, was ich erworben habe, ist aus privaten Mitteln finanziert. Ich würde mich nie für meine Kunst verschulden.

Manch einer wird sich nun fragen: Woher hat er so viel Geld?
Ich habe mir als Jurist einen Namen gemacht und konnte deshalb große Gutachten erstellen, etwa zu Fusionen bedeutender Unternehmen oder Kartellabsprachen. Dadurch habe ich gut verdient. Und ich habe in einer Zeit angefangen zu sammeln, als Kunst noch erschwinglich war. Für meine erste Stenner-Zeichnung in den 1970er-Jahren musste ich 200 D-Mark bezahlen – für meine aktuellste über 10.000 Euro. Aber auch durch das Tauschen mit anderen Sammlern konnte ich meine Sammlung um viele Bilder bereichern.

Macht Ihnen die Preisexplosion Sorge?
Galeristen sagen immer: „Denken Sie an die vielen Werke, die Sie früher preiswert erworben haben und die jetzt im Wert mitziehen.“ Und wenn ich sehe, wie unlängst geschehen, dass bei einer Auktion acht weitere Interessenten um ein Stenner-Bild auf hohem Preisniveau mitbieten, freue ich mich über die Wertschätzung, die er erfährt.

Auslöser Ihrer Sammlertätigkeit war die Ausstellung „Der Hölzel-Kreis bis 1914“ in der Kunsthalle Bielefeld im Jahr 1974. Vor allem von Hermann Stenners Bildern waren Sie ergriffen. Warum?
Er hatte ja nur fünf Jahre Schaffenszeit und er hat sich in jedem dieser Jahre weiterentwickelt. Sein natürliches Talent für Farben und Formen war unübersehbar. Man erkannte sofort: Er war der beste der ausgestellten Künstler. Und dann dieses abrupte Ende seines Lebens, der Tod mit 23 Jahren an der Kriegsfront. Und die Frage: Wie wäre es wohl weitergegangen?

Haben Sie eine Theorie?
Er war gerade auf dem Weg in die Abstraktion. Die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts wäre sicher anders verlaufen, wenn er, wie auch andere Große seiner Zeit, nicht so früh sein Leben hätte lassen müssen. Er teilt dieses Schicksal ja mit weiteren Künstlern wie beispielsweise August Macke oder Franz Marc.

Der Bruder von Hermann Stenner sagte Ihnen damals: „Ihr Interesse ehrt mich, aber Sie werden niemals ein einziges Bild von ihm in Ihrem Besitz haben.“
Mitte der 1970er-Jahre war gerade das erste Werkverzeichnis zu Stenner erschienen. Und der Verfasser riet der Familie, nicht mehr an private Sammler zu verkaufen, sondern nur noch an Museen abzugeben, so bedeutend sei das Werk.

Sie entstammen einer Papenburger Unternehmerfamilie. Welche Rolle hat Kunst in Ihrem Elternhaus gespielt?
Überhaupt keine. Allerdings hatte ich am Gymnasium in Papenburg einen sehr guten Kunstlehrer, der in mir das Interesse an der Kunst geweckt hat.

Und von welchen Bildern waren Sie zu Hause umgeben?
Röhrende Hirsche im Wald (lacht).

Was haben Sie als Kind gesammelt? Briefmarken?
Systematisch gar nichts. Und dass man Kunst sammeln kann, war für mich ein ganz neues Erlebnis. Dass man tatsächlich Unikate besitzen kann, hat mich fasziniert.

2014 wurden Teile Ihrer Sammlung in der Kunsthalle Bielefeld ausgestellt. Was haben Sie dort neu über Ihre Sammlung gelernt?
Anfangs dachte ich, es würde eine Gemeinschaftssaustellung mehrerer Bielefelder Sammler sein. Als ich dann erfuhr, dass es nur um meine Sammlung geht, dachte ich: Um Gotteswillen! In so einem bedeutenden Haus? Ich habe meine Sammlung damals völlig unterschätzt.
Erst durch diese Ausstellung und deren Erfolg – es kamen 43.000 Besucher – habe ich erkannt, welchen Stellenwert sie hat. Friedrich Meschede (Anm.: Direktor der Kunsthalle) sagte dann ja auch: „Keine Frage, diese Sammlung gehört dauerhaft nach Bielefeld.“

Was nun realisiert wird. Ihre Sammlung bildet den Grundstock der Aktivitäten im neuen Kunstforum Hermann Stenner. Ein Ausblick auf die erste Ausstellung: Was werden wir sehen?
Es werden etwa 200 Kunstwerke ausgestellt. Rund 170 aus meiner Sammlung, zumeist Neuerwerbungen der letzten Jahre, dazu 36 auswärtige Leihgaben. Der Titel lautet „Hermann Stenner und seine Zeit“. Ein Gedenken an den Namensgeber unter Einbeziehung seines künstlerischen Umfeldes. Die Ausstellung führt in eine Zeit, die mit der Tradition brach und bildet die damalige Moderne ab.

Ist dieses Kunstforum für Sie auch eine Art Statussymbol?
Es wird mir vorgehalten, dass meine Sammlung durch das Kunstforum eine Wertsteigerung erfährt, ich deshalb einen finanziellen Nutzen daraus ziehen würde. Eine Aufwertung findet in der Tat statt. Nur, ich habe nichts davon, weil ich sie nicht versilbern werde. Diese Auflage bekommen auch meine Kinder, wenn ich die Sammlung in absehbarer Zeit auf sie übertragen werde. Der Dauerleihvertrag mit dem Kunstforum Hermann Stenner läuft zunächst über zehn Jahre mit Verlängerungsoptionen. Und wenn alles gut klappt, plane ich, den Kern der Sammlung zu stiften.

Die Preise sind im Moment hoch. Ist da nie der Gedanke, davon zu profitieren?
Nie. Ich verkaufe nicht, ich kaufe.

Wenn heute jemand in das Kunstsammeln einsteigen will: Welchen Rat haben Sie?
Folge immer den eigenen Interessen und lass dir nichts von anderen aufschwatzen.

Interview: Axel Botur

 

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